Am vorletzten Donnerstag bakam ich eine Karte eines früheren Schwarms von mir: Die Geburtsanzeige ihres ersten Kindes. Am Abend erhielt ich die Nachricht, Dädi sei verstorben.
Ein Kreis schliesst sich.
Dädi war ein einfacher, bescheidener Mann, ein Bastler, „en Chlütteri“, „en Chrampfer“. Kaum etwas ging kaputt, ohne dass er es nicht reparieren konnte – ja musste. Für uns, seine Kinder, ist das phantastisch: Seinen Drang, Funktionsweisen auf den Grund zu gehen, zu tüfteln, zu optimieren übertrug er quasi verlustfrei auf uns. Und: Selber machen macht mehr Spass und ist billiger – so sind wir alle kleine Mechaniker geworden. Und Maler, Schreiner, Stromer, und weiss der Kuckuck was alles noch – eben Bastler, „Chlütteris“.
Ein Kreis schliesst sich.
Aber das Ganze würde nicht gehen ohne eine entscheidende Eigenschaft: Der Wille, zu verstehen, das ewige Bedürfnis, zu lernen. Dädi wurde nie müde, die Welt zu erklären. Mit uns in Kiesgruben Steinbrecher und Bagger zu besteigen, um die ständigen „wie geht das?“ und warum’s geduldig zu ertragen. Mit uns Bäche mit Staudämmen zu verzieren, um uns ein Gefühl für Druck zu geben. Baustellen von Autobahnbrücken unsicher zu machen, wenn er uns Knöpfen die Statik zu erklären versuchte.
Beim zerlegen und vor Allem zusammensetzen revidierter Velos und Töfflis stand er immer mit Rat und Tat zur Seite. Es gibt keine Dichtungen mehr für diesen alten Töfflimotor? Kein Problem: Hier, Dichtungspapier und Messer zum ausschneiden, Stahlkugeln, um die Schraubenlöcher zu stanzen.
Ein defektes Auto war seine Materie, und wenn es nicht defekt war, gab es immer sonst was am Vergaser zu schrauben oder Bremsen zu entlüften.
Für uns ist es zum eigentlichen Spass im Leben geworden, die Welt zu erforschen – und Antworten einfach nach zu plappern zum absoluten Graus. Nicht nur selber „chlüttere“ war bei Dädi ständig angesagt – auch selber denken. Für mich persönlich sein wertvollstes Geschenk, das er uns machen konnte!
Natürlich bewirkte das einen Boomerang-Effekt: Irgendwann zogen wir, seine Kinder, andere Schlüsse wie er, hatten unsere eigenen Ideologien entwickelt. Das ergab so manchen Streit, wie ich zufälligerweise aus zweiter Hand so weiss. So gründlich, wie er uns zum selber denken erzog, so gründlich stellten wir nach kurzer Analyse der Welt diese gleich komplett in Frage. Aber wir sind später überein gekommen, dass ewiges Wachstum auch aus Sicht des kühlen Maschinisten nicht erfolgreich sein kann.
Ein Kreis schliesst sich.
Dädi lebte in einer Zeit der Wachstumsgesellschaft. Vor nicht allzu langer Zeit sagte er mir: Wenn er sich die Menschheitsgeschichte vorstelle, würde er sich keine frühere und keine spätere Zeit wünschen, um zu leben. Der Aufschwung, Wohlstand, Meilensteine in der Wissenschaft – es wären schlicht keine Grenzen in Sicht gewesen. Die beste Zeit zum Leben in den ganzen viereinhalb Milliarden Jahren Erdgeschichte.
Wir Menschen wären heute besser dran, hätten wir uns Dädis Lieblings-Motto zu Herzen genommen: „Tue nichts, was du nicht willst, das man dir tut.“ Für mich der wohl weiseste Wortlaut, den ich kenne. Ich suche Zeit meines Lebens und habe noch nichts universelleres gefunden. Wie auch: Dädi suchte mehr wie doppelt so lange und fand nichts.
Dädi hatte da ja noch so einen anderen Spruch: Die rhetorische Frage, welches denn das dümmste Volk sei. Die Antwort: Das Männervolk! Was habe ich mit Menschen über diese Frage gestritten, auch mit meinen Brüdern. Aber ich finde nach wie vor, es sei eine brillante, pragmatische und logische Analyse der Geschichte – ein Kern des menschlichen Versagens ist das männliche, biologische Erbe, das wir nicht los werden.
Item, wirklich wichtig finde ich Dädis Methodik dahinter, die Welt vom Mond aus mit einem Fernrohr zu betrachten. Vor Allem dann, wenn sie einem zur Verzweiflung treibt. Genau diese nüchterne, sachliche Strategie, gepaart mit kreativem Denken, befähigt einem zu solch unkonventionellen Blickwinkeln, den Blick aufs grosse Ganze von aussen. Dies bewahrte mich vor mancher Depression.
Ein Kreis schliesst sich.
Ich werde nie vergessen, wie er einmal in der Migros zu einer älteren Frau sagte, als er auflas, was ihr ‚runter gefallen war: „Si chönd au froh si, das es ned ufe gheit isch!“ Sie guckte mit dem verständnislosesten Blick, den ich je sah. Für den verspielten Bastelbuben Dädi war das erquickendster Humor: Die Vorstellung, die Dinge könnten plötzlich nach oben fallen.
Oder wie meine Mutter erzählte, als sie zwei vor langer Zeit zusammen neben einem Leutnant an einer Strasse warten mussten und Dädi lautstark über Sinnlosigkeit von Armeen herzog. Heute darf man das ja – aber damals… Und, ganz offen gesagt, macht mich das etwas stolz und gibt mir Mut, auch meine eigene Sichtweisen zu vertreten.
Wenn mich heute jemand fragt, was ich sei, kann ich sagen: ein freidenkender Wahrheitssucher. Ich konnte gar nicht anders. Ich habe Dädis beste Eigenschaften geschenkt bekommen, versuche, sein Erbe weiter zu tragen und auch Bereiche zu erforschen, die er eher mied: Gefühle zum Beispiel, die selbst Dädi mit mechanischer Logik nicht verstehen konnte. Ich bin aber überzeugt, dass jedes System seiner inneren Logik folgt, die nicht zwangsläufig mechanisch-mathematischer Natur sein muss. Ich wäre nicht Dädis Sohn, wenn ich mit Fernrohr, Verstand und kreativen Ideen nicht da weitermachen würde, wo Dädi aufgehört hat.
Ein Kreis schliesst sich, und ich bedanke mich von ganzem Herzen.
[…] economic crisis plays a major role in the game. Costs of living are rising everywhere. And like my father alway said: You can deny your people food or the right to speak – but not both. And the crisis […]