In der TCS-Zeitung war heute ein Artikel, der sich mit der Zunahme von «Velorowdies», die Rotlichter missachten und auf dem Trottoir fahren, befasste. Die Aufforderung «…schwingen sie sich als Autofahrer auch gelegentlich aufs Stahross? Erleben sie dann alles anders? Schreiben sie uns…» konnte ich natürlich als autofahrender Autohasser nicht ignorieren. Mein Leserbrief ist weiter unten.
Kürzlich, in einem Artikel in der WoZ stellte Mracel Hänggi zwei Bücher vor: «Totalschaden. Das Autohasserbuch» von Klaus Gietinger (Westend Verlag. Frankfurt am Main 2010) und «Virus Auto. Die Geschichte einer Zerstörung» von Hermann Knoflacher (Ueberreuter, Wien 2009). Im Artikel sagt er: «Nun, ich habe Kinder, bin Fussgänger und Radfahrer – wie käme ich dazu, Autos nicht zu hassen?» Heute so etwas zu sagen, ist ja fast politisch unkorrekt.
Glücklicherweise durfte ich schon vor längerem begreifen, dass alles immer multifaktoriell begründet ist. Aller Anfang macht die urmännliche Faszination, zu pilotieren, über etwas die Kontrolle und Macht zu haben, zu dirigieren. Im eigenen Territorium sitzend herum zu steuern macht in der Konsequenz unseres biologischen Erbes im Stammhirn jeden, der im Wege steht, zum Eindringling. Bei Motorrad- und Velofahrern oder Fussgängerrowdies kommen natürlich auch andere Faktoren zum Zuge (z.B. Adrenalin durch Geschwindigkeit oder anderes, das einem das Gefühl gibt, am Leben zu sein), doch der Endeffekt – dass mann (und immer mehr auch frau) in einem Kanal Konfrontation sucht, um innere Spannung abzubauen, die nichts mit der provozierten Situation zu tun haben – bleibt der selbe. Die heutige Verkehrsdichte eröffnet dieser Form von Psychohygiene das Paradies. Die erhöhten Spannungen, unter denen immer mehr Menschen stehen, machen den Strassenverkehr zu einem Reizthema.
Dieser Bickwinkel macht auch verständlich, weshalb man sich entschuldigen muss, wenn man was gegen Autos hat: Es ist das eigene Territorium, das es zu schützen gilt. Gesehen im Lichte Neuronaler Schaltkreise nach Leary erstaunt es nicht, dass eher jüngere Menschen dieser Dynamik im eigentlichen Sinn zum Opfer fallen. Älteren Menschen mit entwickelterem Ratio beschränken sich eher darauf, mit ihrem mobilen Territorialanspruch zu protzen.
In Momenten, die mich mit derartigen Dynamiken konfrontieren, werde ich tatsächlich zum Autohasser, obwohl Autos nichts dafür können (übertroffen einzig von den unglaublich stinkenden Zweitaktern mit dem Rasenmäherklang). In meinem Stammhirn sind sie dann Platzhalter für machohafte Dämlichkeit, ob Babybomber oder Asphalt-Bullies. Weitere Momente, in denen ich meine verkehrspsychologischen Spannungen irrational kanalisiere, im Leserbrief:
«Ich bin innerstädtischer Velo- und ausserstädtischer Autofahrer. Als Velofahrer in Basel-Stadt habe ich keine Probleme, Bus, Tram und suchenden, usserkantonalen Autos den Vortritt zu lassen. Wenn allerdings mein Arbeitsweg doppelt so lange dauert, weil alles mit mehrheitlich Autos mit nur einer Person aus Basel-Stadt verstopft ist, fehlen mir die Nerven, beim rechts Abbiegen auch noch Ewigkeiten vor der Ampel zu warten, nicht paralell zum Tram über die Kreuzung zu fahren oder den Zebrastreifen zu benutzen. Für mich gilt jedoch generell: Der Schwächere verdient Rücksicht, ob ich im Auto oder auf dem Velo sitze.
Ein wirklicher Velorowdy gefährdet sich selbst und ärgert Andere, richtig. Die übliche Unsitte von Autofahrern, z.B. Richtungs- und Spurwechsel nicht oder zu spät anzuzeigen, oder – trotz genügend breiter Spur – weit rechts darin im Stau zu stehen, empfinde ich als zügiger Velofahrer allerdings auch als Rowdytum, weil ich für meine eigene Sicherheit auf korrektes Verhalten angewiesen bin. Wer ist nun der Rowdy: Der Dominierende oder der, der sich nicht dominieren lässt?
Für ein entspanntes Miteinander ist heute die Verkehrsdichte schlicht zu hoch. Wenn eine Stadt zu klein wird, dass alle Autos darin vernünftig Platz finden, ohne der anderen und die eigene Lebensqualität zu beeinträchtigen, ist die Beschränkung der Autos die einzig systemisch sinnvolle Lösung – sie haben den geringsten Platznutzungs-Koeffizienten. Dies erst recht, wenn kein Ende der Zuname an Autos absehbar ist.»
Würden Kühlschränke und Kochherde jährlich so viele Todesopfer fordern wie der Autoverkehr – sie wären längst mit Alternativen ersetzt. Würden Recycling-Container die Luft verpesten wie Verbrennungsmotoren – sie wären längst verboten. Aber welcher Politiker begeht schon ideologisch mitivierten Selbstmord? Müssten wir wegen Tauben unsere Outdoor-Aktivitäten im Hochsommer einschränken und Kinder und Senioren empfohlenerweise über Mittag einsperren – sie wären längst ausgerottet. Nur das Auto, das darf das. Papis und Mamis lieben ihre Karren scheinbar mehr wie ihre Kinder und ihre Eltern – anders kann ich mir das nicht erklären.
Zu guter Letzt muss ich gestehen, wie ich es geniesse, mit einem alten Land Rover oder Land Cruiser durch die Gegend zu gondeln. Erst recht mit einem Wohnmobil – es ist das ultimative, mobile Territorium. Und bei einem Gig, bei dem man die ganze Frontline mitbringen muss, möchte ich ungern auf ein Auto verzichten. Allerdings benutze ich das beste Auto der Welt, wenn ich nirgends eines ausleihen kann.